Selenskyjs Rhetorik

Selenskyjs Rhetorik

„Polykrise“ ist eines der Wörter, die ich erst vor kurzem gelernt habe. Eine Krise, die aus vielen einzelnen Krisen besteht, die das Leben zusammengenommen auf einmal ganz schön kompliziert machen. Wir alle befinden uns in einer solchen Polykrise und spüren das jeden Tag auf vielen Ebenen: Privat, beruflich, politisch.

Führungskräfte, Eltern und alle anderen, die auf Menschen aufpassen müssen, fragen sich seit längerer Zeit, wie sie den Laden zusammenhalten und in all dem Chaos Ruhe und Stabilität vermitteln. Wer kann hier als Vorbild dienen? Wie kommunizieren wir stimmig und sind, zumindest nach außen, eher der Fels als die Brandung?

Ein Mann tut sich in dieser Hinsicht seit knapp einem Jahr auf faszinierende Weise hervor: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Über ihn kann ich immer wieder staunen. 1978 geboren und damit nur ein Jahr älter als ich, war er ursprünglich Schauspieler und ein beliebter Entertainer. Eine Art ukrainischer Thomas Gottschalk in jung. Jetzt steht er dem derzeit gefährlichsten Mann der Welt gegenüber wie David einst dem Riesen Goliath. Und hält Stand, mit seinem Volk im Rücken.

Da Selenskyj so intensiv wie kein anderer Politiker über die sozialen Medien mit seinem Volk in Kontakt ist, können wir sehen, was er rhetorisch tut. Und viel von ihm lernen über eine ganz andere Form von Kriegsrhetorik: einer Rhetorik der Nahbarkeit, Besonnenheit, gleichzeitiger Verletzlichkeit und Stabilität. Was ist das Geheimnis seiner Überzeugungskraft? Wie schafft er es, nun im 10. Kriegsmonat, sein Volk zum Durchhalten zu motivieren?

Typisch für Selenskyj ist, dass er sich nahbar und verletzlich zeigt. Wir kennen ihn im T-Shirt, unrasiert, mit Augenringen, nachts aus seinem Büro über der unruhig schlafenden Stadt Kiew. Vielleicht fällt ihm das leicht, weil man ihn aus seiner Zeit als Comedian sowieso schon mit heruntergelassenen Hosen kennt, also was soll‘s. Andererseits gehört genau diese Menschlichkeit zu Selenskyjs Erfolgsgeheimnis: Er ist „einer von uns“. Seine Stimme und sein Auftreten vermitteln immer die eine Botschaft: Ich fühle mit euch. Ich bin bei euch. Wir kämpfen gemeinsam. Wir werden siegen.

Das folgende Video stammt aus den ersten Kriegstagen, als das Land im Schock war. Ein entscheidender Moment für jeden einzelnen Bürger: Kämpfen oder unterwerfen? Fliehen oder bleiben?
Und in diesem Moment hat Selenskyj genau den richtigen Ton getroffen. Mit sehr wenigen Worten.

Klicke auf das Bild, um das Video auf YouTube anzusehen:

Hier hört man ohne die Sprache zu verstehen, wie bewusst und geschickt der Präsident mit seiner Stimme arbeitet:

  • Er nutzt kurze Sätze, die auch für Menschen in emotionalen Situationen leicht zu verstehen sind.
  • Sein Sprechtempo ist langsam, wodurch er Ruhe ausstrahlt.
  • Er senkt seine Stimme häufig – der Tonfall der Sicherheit und Kompetenz.
  • Er wiederholt immer wieder einzelne Worte und Formulierungen und vermittelt dadurch das Gefühl von Stabilität.

Wahnsinn, was dieser Mann in diesem Jahr geleistet hat. Und für mich ist es nach Arnold Schwarzenegger ein weiterer Beweis dafür, dass ein Künstler die Rolle eines ranghohen Politikers in bestimmten Situationen mindestens ebenso gut ausfüllen kann wie manch studierter Jurist oder Wirtschaftsfachmann.

Ein Vorbild für alle Menschen in Führungsrollen, die mit ihrer Stimme einen Fels in die Brandung setzen wollen.

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Anne Kühl Dipl.-Sprecherin, Dipl.-Sprecherzieherin
Helmholtzstraße 22 | 22765 Hamburg | Telefon 0049 - 171 - 4890424 | sprechen (at) annekuehl.de
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